Epilepsie, Krämpfe, Anfälle & Co.
Erste Hilfe
Die Umgebung sichern (mit Kissen/Decken auspolstern oder Gegenstände aus dem Umkreis entfernen, zahme Tiere beruhigen und streicheln, den Raum abdunkeln und das Tier mit einer Decke abdecken, Anfall filmen oder genau beobachten, so dass man ihn nachher genau beschrieben kann, aufschreiben, wie lange er dauert. Wenn der Anfall vorbei ist, Körpertemperatur messen und bei Untertemperatur wärmen.
Dauert der Anfall über 5 Minuten oder treten mehrere Anfälle innerhalb von 24h auf (Cluster)? Keine Zeit verlieren: Sofort den tierärztlichen Notdienst zu jeder Tag- und Nachtzeit aufsuchen!
Es ist für die/den Tierärzt:in sehr hilfreich, wenn die Haltenden auf die Anfallsstadien achten:
- Vor dem Anfall (präiktal): Verhaltensänderungen (zurückgezogen, unruhig)
- Während des Anfalls (iktal):
– Das ganze Gehirn betreffend (generalisiert): Seitenlage, Ruderbewegungen oder plötzliche Anspannung, autonome Ausfälle (Verlust von Urin und Kot, Speichelfluss)
– Einen Teil des Gehirns betreffend (fokal): Zuckungen einer einzelnen Körperregion (meist Gesicht) oder Absencen (kurzer Bewusstseinsverlust) - Nach dem Anfall (postiktal): meist Benommenheit und Ataxie (unkontrollierte, untypische, auffällige Bewegungsmuster), bei anderen Tierarten auch Heißhunger oder Durst sowie Blindheit möglich
Beispiel: Dieses Kaninchen bekommt beim Fressen Erstickungssymptome, schäumt aus dem Mund, die Augen quellen hervor, es versucht Luft zu bekommen:
Symptome
Anfälle und Krämpfe können sehr unterschiedlich aussehen, z.B. zeigt das Kaninchen unkontrollierte Strampelbewegungen mit den Füßchen, kippt zur Seite, reagiert nicht auf Berührungen oder Ansprache, schluckt, leckt oder beißt unkontrolliert, verdreht den Körper, dreht sich ruckartig zur Seite, verliert das Bewusstsein, sieht nichts mehr oder läuft irgendwo dagegen, speichelt oder uriniert unkontrolliert, hält den Kopf schief oder wippt mit dem Kopf oder hat angespannte oder schlaffe Muskeln.
Ursachen: Was kann so etwas auslösen?
Parasiten
- E. cuniculi wird häufig als Ursache für Krampfanfälle genannt, ist jedoch eher selten die Ursache und deutlich überdiagnostiziert.
- Kokzidiose (vor allem bei Jungtieren)
- Toxoplasmose
- Nematodenlarven (Baylisascaris procynotis, Larva migrans)
- Milben (Extrem starker Juckreiz)
Viren
- RHD (Chinaseuche)
- Herpes simplex Virus
- Tollwut (extrem selten, aktuell in Deutschland nicht vorhanden)
Pilze
- Mykotoxine/Schimmelpilztoxine (Getreide, Heu, Stroh, Gemüse, Obst – feuchte Lagerung, Transport…)
Erkrankungen des zentralen Nervensystems
- Ohrenentzündungen (Otitis media oder interna)
- Toxoplasmose
- E. cuniculi wird häufig als Ursache für Krampfanfälle genannt, ist jedoch eher selten die Ursache und deutlich überdiagnostiziert.
- Diverse schwere Erkrankungen
- Kopfverletzungen (Schädel-Hirn-Trauma)
- Erkrankungen im Kopfbereich
Organische Ursachen und schwere Grunderkrankungen
- Nierenerkrankungen (z.B. Azotämie)
- Schilddrüsenunterfunktion
- Akute Verdauungserkrankungen durch starke Schmerzen
- Lebererkrankungen (Lipidose, Ketose)
- Trächtigkeitstoxikose
- Überhitzung/Hitzschlag
Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- Herzerkrankungen – treten meist wenn es warm ist erstmals in Erscheinung!
- Hitzschlag
- Atemwegserkrankungen
- Schlaganfall…)
Blut-Veränderungen
- Elektrolytverschiebungen (Natrium, Magnesium, Kalzium)
Niedriger Blutzucker (Hypoglykämie)
Vitamin E – und Betacarotin-Mangel
Folsäure-Mangel (z.B. als Nebenwirkung von Medikamenten)
- Vergiftungen
- Medikamentenvergiftungen (Lidocain, Enrofloxacin und andere Chinolone, Penicillin, PLACE Antibiotika bei oraler Eingabe…)
- Bleivergiftungen
- Insektizide
- Dünger
- Cannabis (Passiv-Rauchen in Räumen)
- sonstige Vergiftungen
Mechanische Ursachen
- Fremdkörper oder (angeborene) Fehlbildungen im Rachenbereich (Anfälle mit Würgen etc.)
- Tumoren/Neoplasien oder Abszesse, welche das zentrale Nervensystem einschränken/behindern
- Arteriosklerose und Mineralisierung der Hauptblutgefäße
- Mineralisierung der Gehirnblutgefäße/Arteriosklerose
- Reizungen, z.B. Fell gegen den Strich streicheln, Heu in der Perinealtasche, Fremdkörper im Rachen…
Angeborene Fehlbildungen
- Epilepsie
- Weiße Wiener und generell weiße Kaninchen mit blauen Augen reagieren empfindlicher auf laute Geräusche und visuelle Reize, auch das Innenohr kann durch den Melanin-Mangel beeinträchtigt sein, sie neigen daher teils zu Anfällen.
Sonstige Ursachen
- Todeskampf beim Versterben
- Bakterielle Infektionen
- Fieberkrämpfe
- …
Diagnose: Was ist die Ursache?
Bitte suche immer einen kaninchenkundigen Tierarzt auf, wenn möglich einen, der als Spezialist gekennzeichnet ist! Oftmals macht es auch Sinn, für spezielle Untersuchungen einen Neurologen für Tiere hinzuzuziehen.
- Gründliche allgemeine Untersuchung inkl. Temperaturmessung
- Genaue Befragung des Halters (z.B. Zugang zu Katzen- oder Waschbärkot, ungewaschenes Gemüse aus dem Garten, zu bleihaltigen Stoffen, z.B. Bleifarbe)
- Neurologische Untersuchung
- Kotuntersuchung (Kokzidiose)
- Blutuntersuchung (Heimtierprofil und E. Cuniculi-Titer (igG und IgM) im Blut, Toxoplasmose…)
- Thorax-Röntgen und Herzultraschall
- Bildgebung (zumindest Röntgenaufnahmen), Goldstandard ist die Magnetresonanztomographie (MRT), ggf. mit Punktion (z.B. Larva migrans, Neoplasien, Nachweis von Herpes und Toxoplasmose)
Augen- und Kopfbewegungen: Nystagmus und Scannen
Kopfbewegungen (Scannen): Das Scannen zeigen Kaninchen mit Sehbehinderung, insbesondere Albino- und Siamkaninchen. Es dient der räumlichen Orientierung.
Augenzuckungen (Nystagmus): Augenzuckungen treten besonders bei Mittel- und Innenohrentzündungen auf! Auch bei E. Cuniculi sind sie ein mögliches Symptom. Weitere Ursachen sind denkbar.
Therapie: Wie kann man helfen?
Die Behandlung richtet sich sehr stark danach, welche Ursache den Krämpfen und Anfällen zugrunde liegt, deshalb ist es entscheidend, umfangreiche Diagnostik machen zu lassen und die Tiere gezielt zu behandeln.
- Ist mittels Blutcheck, MRT und weiterführenden Untersuchungen jegliche Ursache ausgeschlossen, kann Phenobarbital (1-2mg/kg/Tag, vorsichtig andosieren) eingesetzt werden.
- Diazepam (Valium) eignet sich als Notfallmedikament im Bedarfsfall. Auch Midazolam ist möglich.
- Bei altersbedingten Anfällen: Vitophyllin
Tipps für die Haltung
Um keine Stürze zu provozieren, sollten Tiere mit Anfällen unbedingt ebenerdig, ohne höhere Etagen gehalten werden. Die Verletzungsgefahr ist recht groß, deshalb sollten alle potenziellen Gefahrenstellen ausgepolstert oder beseitigt werden.
Stress und Unwohlsein kann Krämpfe oder Anfälle auslösen, deshalb ist eine stressarme Pärchenhaltung oder eine stabile Gruppenkonstellation von Vorteil.
Plötzliche laute Geräusche, gegen den Strich streicheln, laute Musik, starke Düfte (Deo, Duftkerzen, Zigaretten) und Lichtblitze sind ebenfalls mögliche Stressoren, da Kaninchen eine sehr gute Geruchswahrnehmung haben.
Notwendige Medikamente sollten stressfrei durch Medical Training eingegeben werden!
Einige Medikamente sind für betroffene Kaninchen nicht geeignet, dazu gehren manche Narkose-Medikamente, aber z.B. auch MCP (Emeprid), spreche mit deinem Tierärzteteam die Tauglichkeit ab, wenn Medikamente verwendet werden sollen.
Quellen u.a.:
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Butler, K., DeGeorge, B., Dunn, G., VanGyzen, J., Gruaz, M., van Praag, A., & van Praag, E. (2016): Heterochromia of the iris in rabbits belonging to the Dutch breed.
De Matos, R., Russell, D., Van Alstine, W. & Miller, A. (2014): Spontane tödliche Enzephalitis durch humanes Herpesvirus 1 bei zwei Hauskaninchen (Oryctolagus cuniculus). Journal of Veterinary Diagnostic Investigation , 26 (5), 689-694.
Deeb, B. J., & DiGiacomo, R. F. (1994): Cerebral larva migrans caused by Baylisascaris sp in pet rabbits. Journal of the American Veterinary Medical Association, 205(12), 1744-1747.
Gülersoy, E., İyigün, S. S., & Erol, B. B. (2021): An overview of seizures and epilepsy in rabbits: etiological differences and clinical management.
Künzel, F.; Müller, K. (2019): Andere neurologische Erkrankungen von Kaninchen. im Wissenschaftlichen Bericht über die Jahrestagung der Vereinigung Österreichischer Kleintiermediziner (VÖK).
Nachtsheim, H. (1939): Krampfbereitschaft und Genotypus: 1. die Epilepsie der Weißen Wiener Kaninchen. Verlag von Julius Springer.
van Praag, E. Drug induced folic acid (vit B9) deficiency in a hydrocephalus mini lop rabbit.
Tierärztin Melissa Brinkmeier, persönl. Mitteilungen
Tierärztin Josephine Dietzel, pers. Mitteilung