Erbfehler & Erbkrankheiten beim Kaninchen

Genetische Defekte in der Kaninchenzucht

§ 11b Tierschutzgesetz Deutschland
Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten […] wenn damit gerechnet werden muss, dass bei der Nachzucht […] oder deren Nachkommen erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten.
Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten […] wenn damit gerechnet werden muss, dass bei den Nachkommen
a) mit Leiden verbundene erblich bedingte Verhaltensstörungen auftreten oder
b) jeder artgemäße Kontakt mit Artgenossen bei ihnen selbst oder einem Artgenossen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führt oder
c) deren Haltung nur unter Bedingungen möglich ist, die bei ihnen zu Schmerzen oder vermeidbaren Leiden oder Schäden führen.

Jeder Kaninchenzüchter ist verantwortlich für die Gesundheit seiner Kaninchen. Durch Zuchtauslese lassen sich nicht nur gute Eigenschaften vererben, sondern auch diverse Erbkrankheiten. Diese sollten natürlich nicht weiter vererbt sondern durch Genetik-Kenntnisse ausgeschlossen werden. Ein Erbfehler kann sich durch ein Konduktor-Kaninchen (dies ist ein Kaninchen, das den Erbfehler genotypisch trägt, ohne das er sichtbar/ausgeprägt ist, also als Erbkrankheit auftritt) weit verbreiten, ohne das es dem Züchter überhaupt bewusst ist.

letalfaktor-kaninchenDer Letal- und Semiletalfaktor („Zwergenfaktor“)

Auch „Zwergenfaktor“ genannt. Die Kaninchen werden im englisch-sprachigen Raum „Peanuts“ und bei uns „Kümmerlinge“ genannt. Betroffene Kaninchen werden kleiner als die anderen Wurfgeschwister zur Welt gebracht und nehmen nicht zu. Meist sterben sie innerhalb von wenigen Tagen. Überlebende Kaninchen mit Zwergenfaktor entwickeln oft Probleme beim Absetzen bzw. bei der Umstellung auf feste Kost.
Der Letalfaktor wird bei einigen Kaninchenrassen bewusst mitgezüchtet, da er Auswirkungen auf das Aussehen (den Phänotyp) der Kaninchen hat. Beispielweise führt er zu Zwergenwuchs bei Zwergkaninchen. Paart man zwei Kaninchen, die den Letalfaktor vererben (also z.B. zwei Zwergkaninchen), so tritt er bei den Jungtieren reinerbig (homozygot) auf. Der homozygot auftretende Letalfaktor führt bei allen betroffenen Tieren zum Tod. Der Semiletalfaktor bei weniger als 100% der Tiere. Überlebende Tiere sind mittel bis stark behindert.
Reinrassige Zwergkaninchen in dem Sinne gibt es nicht, denn sobald sie absolut reinerbig sind (DwDw), sterben sie oder sind nicht fortpflanzungsfähig (Letalfaktor) weil durch die Kopplung an das Gen, welches für den Zwergenwuchs verantwortlich ist, gleichzeitig der Letalfaktor mitvererbt wird. Normale Zwerge sind also mischerbig (Dwdw), d.h. eines der Elterntiere (normalerweile das Muttertier) ist kein Zwergkaninchen, so dass die Jungtiere das Zwergengen zwar tragen (und dadurch z.B. kleiner sind), aber nicht von den Problemen betroffen sind, die reinerbige Zwerge treffen.
Die Verpaarung von zwei Kaninchen, die den Letalfaktor genotypisch tragen, ist in Deutschland nicht erlaubt (siehe Gutachten zu §11 Tierschutzgesetz (Qualzuchten)). Sollte man es trotzdem tun, so bekommt man folgendes Ergebnis: Kaninchenbabys mit Letalfaktor. Es muss grundsätzlich ein Zwergkaninchen mit einem Kaninchen, welches nicht das Zwergengen trägt, verpaart werden.
Foto: Cú Faoil

Der Maxfaktor

maxfaktor-kaninchen

Der Maxfaktor wird rezessiv vererbt, daher wird er oft unbewusst mitgezüchtet und tritt erst phänotypisch auf, wenn man zufällig zwei Träger-Kaninchen kreuzt. Er macht sich an den Augen bemerkbar (früh geöffnete Augen bzw. mit offenen Augen geboren oder einem offenen Auge, Augeninfektionen, einseitige oder beidseitige Blindheit usw.) und zudem schließt sich die Schädeldecke nicht ganz, sie haben oft ein Loch zwischen den Ohren im Schädel. Außerdem haben sie eben oft diese Fehlstellung der Gliedmaßen und auch manchmal mehr Zehen. Sie verfügen über extrem weiches Fell, einen recht runden Kopf und oft einen Puschel Fell zwischen den Ohren. Das schränkt sie nicht ein bzw. ist sogar ein Grund warum manche Züchter den Maxfaktor leider mitzüchten… Er muss nicht zwingend zur Blindheit der betroffenen Jungen führen, da durch die schon früh geöffneten Augen die Gefahr für Augeninfektionen recht hoch ist, können diese dann zur Blindheit führen. Der Maxfaktor kann auch unterschiedlich stark ausgeprägt sein. Je nachdem können die Kaninchen später recht normal leben oder sie sind stark eingeschränkt.

hippofaktor kaninchenDas Hippo- oder der Nilpferdfaktor

Die Benennung dieses Erbfehlers kommt aus dem englischsprachigen Raum, die betroffenen Jungtiere erinnern an Nilpferde (in englisch „hippopotamus“ > hippo factor). Oft kommen sie tot zur Welt, wenn sie leben, sterben sie nach der Geburt oder innerhalb weniger Tage und nehmen nicht richtig zu.
Hippo Babys haben einen sehr runden und dicken Körper und Kopf, aber nur Stummel als Gliedmaßen oder es fehlen Teile der Gliedmaßen (Krallen, Füße…). Die Blume fehlt oft ganz. Manchmal ist auch das Gesicht nicht richtig angelegt. Sie sehen deshalb wie kleine Flusspferde aus.
Es scheint, als müsse nur eines der Elternteile den Faktor tragen, damit er weiter vererbt wird. Vererbende Kaninchen sollten aus der Zucht genommen werden.

Das erblich bedingte Megacolon-Syndrom bei Punktschecken

Das Scheckungsgen darf ausnahmslos mischerbig (heterozygot Kk) gezüchtet werden, denn reinerbige Schecken (homozygot KK) leiden sehr oft unter einem Megacolon und anderen Erkrankungen wie z.B. einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit und Missbildungen. Von einem Megacolon spricht man, wenn der Dickdarm missgebildet ist (erweitert) und es dadurch zu chronischen Verdauungsproblemen kommt, es kann nicht nur durch Zucht, sondern auch durch andere Faktoren ausgelöst werden. Unter Züchtern nennt man die betroffenen Tiere Chaplins oder Weißlinge, wobei Weißlinge nicht weiß (wie der Name vermuten lässt) sondern ebenfalls gescheckt sind. Viele Kaninchen mit dieser Behinderung sterben früh, einige erreichen ein höheres Alter, leiden jedoch unter chronischen Verdauungsproblemen, die oft mit der Zeit schlechter werden. Außerdem leiden sie unter einer Hypertrophie der Nebennierenrinde, was auf einen erhöhten Dauerstress-Pegel schließen lässt. Das Auftreten von Weißlingen spricht für keine gute Zucht, sondern für eine Vermehrung, denn ein richtiger Züchter mit Genetikkenntnissen weiß, wie er Punktschecken vermehren kann, ohne dass es zu dieser Behinderung bei Jungtieren kommt. Er züchtet ausnahmslos mischerbige Schecken und umgeht so dieses Problem.
Weitere Infos zum Megacolon
Weitere Infos zur Scheckenzucht

megacolon-kaninchen

Foto: Drei Weißlinge aus einem Wurf.

Erbfehler am Schädel (Schädelknochen, Augen, Zähne, Kiefer)

Im Schädelbereich sind zum einen direkte Erbkrankheiten des Schädels gegeben (Wasserkopf, Verengung der Nasenöffnung, Verschmelzung der Schädelknochen), zum anderen die durch eine Verkürzung des Oberkiefers oftmals mitgezüchteten Zahnfehlstellungen und Verengungen des Tränennasenkanals. Ebenfalls möglich sind fehlende oder überzählige Zähne. Auch Erbfehler der Augen sind bekannt (Glaucom, grauer Star, Einäugigkeit, Verschmelzung der Augenhöhlen, Spaltbildung und Verkleinerung des Auges, Rolllid).

Widder neigen zu Ohrenentzündungen

Zahnerkrankungen

Kurzköpfigkeit

Zahnfehlstellung-kaninchen
elefantengebiss-kaninchen
zahnfehlstellung-erbfehler


Fotoquellen: Uwe Gille / Kalumet

Rollied beim Jungtier (+ direkt nach der OP)

rollied
rollied-kaninchen

Erbfehler von Haut und Fell

Es kann durch Erbfehler zu fehlenden oder mangelhaften Haarwuchs kommen, auch eine Hautversteifung ist möglich. Wenig bekannt ist dabei das „Glatzengen“, es wird so genannt, weil die zuvor normal entwickelten Jungtiere plötzlich Fellverlust an der Stirn bekommen und dann weiter Fell ausfällt, oft sind die Kaninchen nahezu „nackig“ oder haben nur einzelne Fellbüschel. Dadurch sehen sie bemitleidenswert faltig und krank aus. Interessanterweise entwickeln diese Kaninchen ein paar Wochen später völlig gesundes, normales Fell und sehen wie gesunde Tiere aus. Besonders oft betroffen sind Rexkaninchen oder Mischlinge. Meistens sind nur wenige Kaninchen in einem Wurf mit dem Glatzengen versehen.

Erbkrankheiten der Organe, Geschlechtsorgane und des Blutes

spaltpenis kaninchen (2)
spaltpenis (2)

Durch Erbfehler kommt es manchmal zu einer Gelbfärbung des Körperfettes, einer fehlenden Niere oder einer Unterentwicklung der Geschlechtsorgane. Auch Fehlbildungen der Geschlechtsteile sind möglich (Spaltpenis und andere Fehlbildungen).
Eine Arteriensklerose sowie weitere Blutveränderungen, die allerdings bei der Geburt tödlich sind, wurden bekannt (z.B. eine Anomalie der Neutrophilenkerne).

Erbkrankheiten am Nervensystem, Krampflähme

Erbfehler des Nervensystems beim Kaninchen können vielfältig auftreten. Bekannt sind beispielsweise Bewegungsstörungen, Gleichgewichtsstörungen, Krämpfe, epileptische Anfälle, Schüttellähmung und Bewegungslähmung, das zeitweise Fortbewegen auf den Vorderläufen, steife Lähmungen der Gliedmaßen, eine Spaltbildung der Wirbelsäule mit offenen Rückenmark (die Kaninchen sterben bei der Geburt) usw.
Recht häufig tritt die sogenannte “angeborene Krampflähme” auf (meist zwischen der 6. und 8. Lebenswoche), und ist auf einen erblichen Defekt im Klein- und Stammhirn zurück zu führen. Die Jungtiere krampfen urplötzlich sehr stark, schreien dabei und können sogar bei einem Krapf versterben. Viele Jungtiere überleben jedoch auch die Krampflähme und bekommen nach einer Weile keie weiteren Krämpfe mehr.

Scannen, Nystagmus und Sehschwäche bei weißen Kaninchen/Albinos/Russen/Siam

Bei vielen weißen Widdern tritt das Scannen (Kopf zwanghaft hin und her bewegen) auf. Nicht alle weißen Widdern, aber fast jeder zweite oder dritte sind betroffen. Auch siam- und russenfarbene Kaninchen können die Krankheit sehr häufig haben.

Die genannten Farbenschläge haben häufig rote Augen oder sind komplette Albinos. Man geht davon aus, dass die weißen Widder schlecht sehen und auch ab und zu einen Nystagmus (Augenzuckungen) entwickeln. Albinos (unpigmentierte/rote Augen) haben häufig ein rein eindimensionales Sichtfeld (kein räumliches Sehen), sind extrem UV-sensibel und sehen sehr schlecht bei Sonneneinstrahlung. Zudem geht Albinismus häufig mit einer Sehschwäche (sekundäre Amblyopie) einher. Widder leiden unter einem eingeschränkten Sichtfeld durch die seitlich hängenden Ohren. Durch das Scannen versuchen sie, die Umgebung besser wahrzunehmen. Wobei Albinokaninchen mit stehenden Ohren deutlich seltener scannen. Die Albino-Begründung ist auch im englischsprachigen Raum zu finden.
Auffällig ist, dass betroffene Kaninchen oftmals unverträglich sind oder in Gruppen aggressiv reagieren können, was ebenfalls durch das schlechte Sehen erklärt werden kann.
Das Scannen tritt auch bei der Erkrankung E. Cuniculi (dann eher vertikal) auf und vom Scannen betroffene weiße Widder sind auffällig oft auf E. Cuniculi positiv getestet worden. Zudem ist es ein Anzeichen für Ohrenentzündungen (eher horizontal), die beim Widder sehr häufig vorkommen.

erbkrankheiten-kaninchenErbfehler am Skelett

Auch das Skelett wird von Erbkrankheiten nicht verschont. Von einer unvollkommenen Beckenbildung, Hüftgelenk-Deformationen, Wirbelsäulenverkrümmung (Skoliose), Zwerchfellbrüchen und veränderten Knochen über Hüftgelenks-, Schienbein und Fußknochen-Fehlstellungen (z.B. Spreizer), Kurzzehigkeit, bis hin zu fehlenden oder überschüssigen Zehen sind vielfältige Erbkrankheiten im Umlauf.
Auch Hüftgelenksdysplasie und Arthrose wird vererbt. Besonders große Rassen sind davon betroffen.

Foto: Kaninchenrettung e.V.

Weiterführende Links
www.satinangora.de
http://www.bmel.de/cae/servlet/contentblob/631716/publicationFile/35840/Qualzucht.pdf
Fehlerdatenbank für Rassekaninchen