Einmal Kaninchenbabys?
Ist das sinnvoll?

Lieber hören als lesen?

Nachdem ich auch immer wieder Anfragen bekomme, ob es sinnvoll sei, die Kaninchen einmal Babys bekommen zu lassen, bevor man den Rammler kastriert oder ob die Weibchen einmal gedeckt werden sollen, möchte ich hierzu ein paar Worte schreiben.

Der Gedanke, so viele zuckersüße Babys herumwuseln und aufwachsen zu sehen, ist immer verlockend. Bitte lest euch jedoch vorher alle Punkte durch damit ihr über die Risiken und Probleme informiert seit bevor ihr eine Entscheidung trefft.

Gruppen können durch den Nachwuchs auseinander fallen
Durch die Geburt der Babys kann es zu Situationen kommen, in denen die erwachsenen Kaninchen voneinander getrennt werden müssen. Gerade wenn wenig Platz vorhanden ist oder die Tiere sich schlecht verstehen, kann es zu Angriffen gegenüber der Jungtiere kommen. Die werdende Mutter braucht ein sehr großes Gehege und kann mit anderen Kaninchen zusammen leben die sich gut mit ihr verstehen. Wenn die Gruppe unharmonisch ist, müssen Tiere, die sich nicht mit der Mutter verstehen oder sich aggressiv gegenüber der Babys verhalten, separat gehalten werden. Dies kann dazu führen, dass eine spätere Vergesellschaftung nicht mehr klappt und man später mehrere Gruppen halten muss. Wenn ein Tier alleine getrennt wird, braucht es später wieder ein passendes Partnerkaninchen um nicht alleine leben zu müssen. Dadurch kann es zu einer erhöhten Tierzahl kommen (mehr Platzbedarf, höhere Kosten, höherer Aufwand). Potente Rammler müssen vor der Geburt von der Mutter getrennt werden, da sie direkt nach der Geburt wieder die Mutter decken können, was auf keinen Fall passieren darf da die Doppelbelastung der Mutter (Babys säugen + Babys im Bauch) das Muttertier stark auslaugt und die vorhandenen Babys dadurch auch nur knapp 4 Wochen gestillt werden können, da dann die nächsten Babys nachkommen. Auch hierbei kommt es zu Trennungen die nachher dazu führen können, dass die Vergesellschaftung nicht mehr gelingt und mehrere Gruppen gehalten werden müssen. Durch eine Kastration vor dem Zusammensetzen mit der Mutter oder durch eine Frühkastration (Kastration vor der Geschlechtsreife) kann eine solche Trennung verhindert werden.
Aus vielen Anfragen weiß ich leider, dass viele Halter nachher ein Problem damit haben, mehrere separate Gruppen artgerecht unterzubringen. Überlegen Sie sich daher vorher, ob dies möglich ist.

kaninchengehege-nachwuchs

Mütter haben einen sehr hohen Platzbedarf
Auch separierte Kaninchenmütter brauchen ein großes Gehege, damit sie stressfrei die Kaninchenbabys großziehen können. Bei säugenden Häsinnen kommt es zu einer erforschten Problematik: Sie können natürliche Verhaltensweisen wie z.B. das Verschließen des Nestes und das Fernhalten von den Jungen nicht ausleben, wenn sie gezwungen werden, sich nah am Nest aufzuhalten und nicht weiträumig ausweichen können. Diese Verhaltensweisen sind in der Natur für die Jungen überlebenswichtig. Deshalb wird die Häsin extrem unter Stress gesetzt, wenn sie diese Verhaltensweisen nicht ausleben kann.
Durch nötige Trennungen der Gruppe (siehe vorheriger Punkt) kann es dazu kommen, dass Platz für mehrere große artgerechte Gehege benötigt wird. Haben Sie den Platz dafür?

Mütter können bei/durch die Geburt sterben
Sehr viele Halter haben ihre Häsinnen durch die Geburt verloren. Das liegt daran, dass das Becken der Kaninchenweibchen mit zunehmenden Alter erknöchert, so dass es zu Komplikationen bei der Geburt kommt (Ausnahme: wenn sie regelmäßig entbinden, ist eine weitere Geburt im nächsten Halbjahr kein Problem). Ein weiterer Grund sind zu junge Weibchen, die noch selber im Wachstum sind und ein recht enges Becken haben. Was beim Menschen bekannt ist und durch hohe medizinische Standards augeglichen wird (entbindende Teenies und ältere Mütter sind Risikogruppe und werden entsprechend sehr eng ärztlich betreut), ist für viele kleine Tiere ein Todesurteil. Tiere verkriechen sich wenn sie Schmerzen haben, Kaninchen äußern sich nicht laut. Dadurch werden Schmerzen und Probleme durch oder nach der Geburt kaum bemerkt oder zu spät erst diagnostiziert, so dass die Tiere dann bereits zu geschwächt sind und eingeschläfert werden müssen oder einfach versterben.
Sind sie sich bewusst, dass Sie ihr Weibchen durch die Geburt und ihre Folgen verlieren können?

Waisen oder schlecht versorgte Babys müssen ggf. von Hand alle vier Std. gefüttert werden
Wenn Babys zu Waisen werden, müssen sie oftmals (außer man findet eine Amme, die sie annimmt) alle vier Stunden gefüttert und massiert werden, auch nachts. Das bedeutet erheblichen Stress für den Halter und schlaflose Nächte. Zudem muss der Halter entsprechend Zeit haben um die Tiere alle vier Stunden zuverlässig versorgen zu können.
Sind Sie dazu bereit und in der Lage (Zeit)?

Tote Babys und Leid
Es kann immer dazu kommen, dass trotz guter Pflege die Babys nicht überleben, egal ob bei der Hand- oder Mutteraufzucht. Können Sie damit leben, sterbende Babys zu begleiten, tierärztlich zu ersorgen (Kosten) und evtl. auch mit ihrem Tod zurecht kommen?

Hohe Kosten
Durch die Geburten und den Nachwuchs entstehen auch erhebliche Kosten, die nicht zu unterschätzen sind. Oft benötigt man mehrere große Gehege, weil die Tiere getrennt werden müssen (jeweils der Gehegebau, Materialkosten, Futternäpfe, Raufen, Unterschlüpfe, Schutzhütten etc.). Die Babys wachsen schnell und brauchen entsprechend viel viel Platz.
Durch Geburtsprobleme, geschwächte Mütter und kranke/schwache Babys kann es zu erheblichen Tierärztkosten kommen, die man mit einrechnen sollte. Da die Baby-Männchen unkastriert kaum Vermittlungschancen haben, müssen sie auch noch kastriert werden (40-60€ je Männchen) was erhebliche Kosten verursacht. Wenn man 4-5 Buben je Wurf rechnet, sind das 200-300€ je Wurf/Mutter allein für die Kastration. Hinzu kommen noch geringe Kosten für mehr Futter (die Kleinen fressen Unmengen), Zubehör, Einstreu usw. usf. Die Geschlechtsbestimmung der Babys beim Tierarzt kosten auch noch mal was. Sind Sie bereit und in der Lage, diese Kosten zu tragen?

Risiko zum Großnotfall
Falls die Geschlechtsbestimmung fehl schlägt (z.B. sich ein Männchen in der Weibchengruppe befindet) darf man damit rechnen in kurzer Zeit einen Großnotfall zu haben. Gleiches kann passieren, wenn die Quarantäne (Zeit, in der die Männchen noch zeugungsfähig sind nach der Kastration) nicht eingehalten wird.

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Niemand möchte für Behinderungen/Erkrankungen der Babys verantwortlich sein
Es ist auch sehr wichtig, die Abstammung der Kaninchen-Eltern und genetischen Voraussetzungen (Erbkrankheiten etc.) zu kennen und sich mit der Genetik und Zuchtmethoden aus zu kennen, denn man ist ja dafür verantwortlich, dass der Nachwuchs gesund ist. Wenn man wild vermehrt, geht man die Gefahr ein, dass man behinderte, kranke oder nicht lebensfähige Babys produziert, was jedem fühlenden Halter das Herz brechen würde, wenn er weiß, dass er das hätte verhindern können, wenn er sich mehr Wissen angelesen hätte. Hier ein Erfahrungsbericht vom Aufwachsen der Babys eine Häsin, auch bei diesen Babys waren beide Eltern gesund und nicht miteinander verwandt. Das Ergebnis war, dass die Babys teilweise den Maxfaktor (glücklicherweise nur leicht ausgeprägt) und eines der Kaninchen auch eine angeborene Zahnfehlstellung hatten (angeborene Zahnfehlstellungen werden meistens in den ersten zwei Lebensjahren sichtbar): Erfahrungsbericht Kaninchenbabys

Aber meine Kanincheneltern sind ja gesund und nicht miteinander verwandt!

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Hier hat sich jemand wenig Gedanken darüber gemacht, ob die Eltern geeignet waren um Nachwuchs zu bekommen:
Diese Babys erblickten das Licht der Welt…

Dieser Wurf Kaninchenbabys stammt von gesunden, nicht verwandten Eltern, mit Genetikkenntnissen wäre der Hobbyzüchter in der Lage gewesen, die versteckten Erbanlagen zu kennen und so ein Leid zu verhindern!
Die Babys sind alle behindert, ihnen fehlen die Gelenkpfannen. Besonders schwer hat es Felix, den kleinen Braunen getroffen, er war ein Dauer-Pflegefall und verstarb bereits im Alter von zwei Jahren. So kann ein Gedanke wie „ich will einmal süße Kaninchenbabys haben“ zu Tierleid führen! Bitte vermehrt keine Kaninchen, überlasst das den Züchtern die wissen, was sie kreuzen dürfen und was nicht.
Die Rechte der Fotos liegen bei: www.kaninchenrettung.de und wurden freundlicherweise zur Verfügung gestellt!

Unterbringung der Babys – Genug Platz sie alle behalten zu können
Gute Plätze für alle Babys zu finden ist schwer, meist bleibt man auf einigen oder allen Tieren sitzen, denn es besteht in Deutschland momentan ein extremer Überschuss an Kaninchen. Haben Sie die Möglichkeit, etwa 8-10 Kaninchenbabys zusätzlich zu den vorhandenen Babys halten zu können (lebenslang bzw. bis zur Vermittlung)? Können Sie die Kosten für so viele Tiere tragen? Ist die artgerechte Haltung und ausreichende Versorgung (ausmisten, pflegen…) möglich?

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Tierschutzproblematik – Kaninchenüberschuss
Die Tierheime und Notstationen sind voll mit viel zu vielen Kaninchen die ein artgerechtes Zuhause suchen. Auch privat suchen zahllose Kaninchen ein neues Zuhause. Für jedes nachproduizierte Tier bekommt ein Notfalltier kein Zuhause und wartet noch länger auf einen Platz.

Foto rechts: Diese Kaninchenbabys saßen in einem Tierheim, drei von ihnen wurden im Tierheim erwachsen, da sie kein Zuhause fanden, zwei von ihnen waren ein Dreifviertel-Jahr im Tierheim bis sie jemand aufnahm.

Gebärmutter-Krebs-Vorbeugung?
Immer noch kursiert die Ansicht, dass Häsinnen, die bereits trächtig waren, ein niedrigeres Risiko haben, an Gebärmuttererkrankungen (insbesondere Krebs) zu erkranken. Das ist jedoch aus der Erfahrung heraus nicht zu bestätigen, Häsinnen die bereits Mutter waren erkranken mit gleich hohen Risiko an Gebärmuttererkrankungen wie ihre Artgenossen. Bitte lassen Sie sich nicht durch solche Aussagen täuschen.

Aggressive Häsinnen werden durch die Geburt ausgeglichener?
Oftmals wird empfohlen, aggressive Häsinnen zu decken, da sie dann ausgeglichener werden würden. Aggressionen haben schwerwiegende Gründe, die behandelt gehören (schwere Erkrankungen, z.B. an der Gebärmutter, Haltungsfehler, Fehler im Umgang mit dem Tier etc.), eine Geburt löst diese Probleme nicht. Siehe Verhaltensprobleme

Dieser Text soll nur mal einen Einblick in die Problematik geben, ich kann nur von Herzen abraten, Kaninchen zu vermehren. Viele Halter tragen noch über Jahre die Folgen der Vermehrung und waren sich dessen vor der Vermehrung nicht bewusst.

Einmal Kaninchenbabys ohne Leid zu verursachen?
Ja, auch das ist möglich. Im Tierschutz stranden immer wieder trächtige Weibchen die ein gutes Zuhause für die Aufzucht der Babys suchen. Mit der Aufnahme einer solchen Häsin kann man etwas Gutes tun und „einmal Kaninchenbabys“ erleben. Erfahrungsbericht