Der richtige Umgang mit Kaninchen
Kaninchen zähmen
Kaninchen leben in sozialen Verbänden von mehreren Individuen. Sie sind vor allem in der Dämmerungszeit,
aber auch tagsüber (domestizierte Tiere) aktiv. Als Beutetiere mit vielen Fressfeinden am Boden und aus der Luft (Raubtiere, Greifvögel) sind sie von Natur aus scheu, schreckhaft, geräuschempfindlich und ständig fluchtbereit.
Sie verständigen sich untereinander vorwiegend über Gestik und Geruchsmarkierungen.Tierärztliche Vereinigung für Tierschutz (TVT), 2012
Lieber hören als lesen? Unser Podcast zum Thema
Muss das Kaninchen überhaupt gezähmt werden?
Es ist nicht empfehlenswert, scheue Kaninchen einfach zu lassen. Wenn ein Kaninchen Angst vor Menschen hat, empfindet es ständigen Stress, wenn sie vor Menschen fürchten, was zu dauerhafter Nervosität, Aggressionen gegenüber Artgenossen und Problemen beim Umgang, wie Tierarztbesuchen und Gesundheitschecks führen kann. Rückzugsmöglichkeiten helfen nur bedingt, da die Tiere sich dennoch selten entspannen. Um Stress zu reduzieren, ist eine Gewöhnung an den Menschen wichtig. Wenn man einfach auf die Gesundheitschecks oder Tierarztversuche verzichtet, gefährdet das ihre Gesundheit und sie können durch unentdeckte oder unzureichend behandelte Krankheiten lange andauernden Leiden und Schmerzen ausgesetzt sein, was tierschutzrelevant ist!
Vertrauen gewinnen
Kaninchen zähmen und streicheln
Um das Kaninchen zu pflegen und zu streicheln, sollte es nicht hochgenommen werden. So fasst es auch schnell Vertrauen, denn das „Hochnehmen“ verursacht viel Stress und Misstrauen!
Sollte ein Kaninchen aggressiv reagieren, so reagieren Sie nicht darauf (außer Sie haben es bedrängt oder in seinen Bereich gefasst, dann ziehen Sie sich zurück) und geben Sie ihm genug Beschäftigungsmöglichkeiten, damit es sich anderweitig auspowern kann.
Jedes Kaninchen kann zumindest so weit zahm werden, dass man es streicheln und aus der Hand füttern kann.
Wird ein Kaninchen nicht zahm, so liegt es meistens an der falschen Handhabung (Nackengriff, Ohrengriff, häufiges Hochnehmen, Herumtragen, Medikamenten-Verabreichung, wenig Kontakt zum Tier, keine tägliche Beschäftigung mit dem Tier usw.).
„Mein Kaninchen verkriecht sich, sobald es mich sieht.“
Um das Kaninchen an Sie zu gewöhnen, sollte es dort leben, wo Sie sich am meisten aufhalten und nicht in der hintersten Gartenecke oder im Abstellraum. Verschrecken Sie das Kaninchen nicht mit lauten Geräuschen, häufigem Hochnehmen (nur, wenn aus Krankheits- oder Pflegegründen erforderlich!) oder hastigen Bewegungen. Treiben Sie es nicht in die Enge und jagen Sie ihm keine Angst ein. Wenn es nicht gestreichelt werden möchte oder flieht, dann lassen Sie es in Ruhe. Halten Sie sich viel in der Nähe des Kaninchen auf (ruhig mit nicht zu hastigen Bewegungen und ohne es zu belästigen), zum Beispiel können Sie sich ins Gehege setzen, um einen Film zu schauen, ein Buch zu lesen oder mit jemanden zu telefonieren. So gewöhnt sich das Kaninchen problemlos an Ihre Anwesenheit und sieht Sie nicht mehr als Gefahr. Überraschen Sie es nur mit positiven Reizen (z.B. Futter, neues Zubehör und Spielzeug), statt ihm Angst einzujagen.
„Das Kaninchen lässt mich nicht näher kommen.“
Ihr Kaninchen muss sich erst langsam daran gewöhnen, dass Sie keine Gefahr sind. Viele Kaninchen wurden früher grob oder zu oft hochgehoben (z.B. im Nacken, an den Ohren oder mit anderen schmerzhaften Griffen), sie wurden herumgezogen (von Kindern bespielt) oder sie haben kaum Kontakt zum Menschen gehabt und daher noch Angst. Halten Sie sich viel bei Ihrem Kaninchen (im Gehege) auf (siehe vorheriger Absatz „Das Kaninchen verkriecht sich, sobald es mich sieht.“).
Sobald es merkt, dass keine Gefahr vom Menschen ausgeht, wird es sich auch soweit nähern, dass man sich bei der Fütterung neben das Futter setzen kann, ohne dass es flüchtet. Viele kleine Futtergaben zeigen ihm, dass Sie es gut mit ihm meinen und keine Gefahr sind.
„Mein Kaninchen frisst mir nicht aus der Hand“
Planen Sie täglich etwas Zeit für die Beschäftigung mit dem Kaninchen ein (z.B. eine halbe Stunde) und lassen Sie dem Kaninchen Zeit, sich an Sie zu gewöhnen. Setzen Sie sich vorerst neben das Kaninchen, während es sein Essen frisst und bieten Sie immer wieder sein Lieblingsessen aus der Hand an. Irgendwann wird es von ganz alleine auch aus der Hand das Futter fressen. Es muss sich erst an Ihre Anwesenheit gewöhnen und auch lernen, dass von einer Menschenhand keine Gefahr oder Schmerzen ausgehen (viele Kaninchen haben Angst vor Händen, weil sie grob im Nacken oder an den Ohren gepackt oder falsch hochgenommen wurden etc.).
„Mein Kaninchen lässt sich nicht streicheln“
Setzen Sie sich zum Kaninchen ins Gehege, locken Sie es mit etwas Futter, um es an die Hand zu gewöhnen, und wenn es problemlos aus der Hand frisst, beginnen Sie vorsichtig, es zu berühren und schließlich zu streicheln. Manche Kaninchen mögen es am liebsten, zwischen den Augen über die Stirn gestreichelt zu werden, andere werden lieber am Körper gestreichelt. Manche Kaninchen reagieren im Nacken oder an den Ohren extrem empfindlich, da sie in der Vergangenheit am Nacken oder an den Ohren hochgezogen wurden und daher Angst vor Schmerzen haben, wenn man an diese Körperbereiche fasst. Probieren Sie aus, welche Bereiche Ihr Kaninchen gestreichelt haben möchte und meiden Sie Stellen, an denen es empfindlich ist oder zurückschreckt. Wenn das Kaninchen zurückschreckt, lassen Sie es und probieren es beim nächsten
Mal wieder, wenn Sie füttern – dann vielleicht an einer anderen Körperstelle, um herauszufinden, wo es am liebsten gestreichelt wird. Mit der Zeit fasst das Kaninchen mehr Vertrauen und lässt sich auch an anderen Stellen streicheln oder entspannt sich völlig beim Streicheln.
Viele Kaninchen kommen später zum Menschen, um gestreichelt zu werden, da sie das Streicheln ohne ein Hochnehmen oder Tragen richtig genießen können…
Wenn einmal richtiges Vertraue aufgebaut wurde und das Kaninchen den Menschen als vertrauensvollen Partner kennen gelernt hat, ist es (je nach Kaninchen) auch möglich, das Hoch heben gelegentlich zu trainieren.
Warum sind manche Kaninchen extrem scheu?
Kaninchen, die in ihrer frühen Lebensphase keine positiven Erfahrungen mit Menschen gemacht haben (Sozialisation), entwickeln oft große Scheu. Sie fliehen instinktiv vor menschlicher Nähe. Die häufige Annahme, dass scheue Kaninchen Schlimmes erlebt haben, also traumatische Erlebnisse hatten, ist auch eine Möglichkeit, jedoch deutlich seltener.
Verhaltenstherapeutische Verfahren
Bei extrem scheuen Kaninchen kann auch eine Verhaltenstherapie bei einem auf Verhaltenstherapie und Kaninchen spezialisierten Tierarzt nötig sein. Dabei werden folgende Verfahren, die auch hier in der Anleitung genutzt werden, angepasst an das betroffene Kaninchen angewendet:
Systematische Desensibilisierung
Bei der Desensibilisierung wird der angstauslösende Reiz zunächst in einer so schwachen Form präsentiert, dass das Kaninchen entspannt bleibt. Die Intensität wird schrittweise gesteigert, um die Reizschwelle zu erhöhen. Ein ängstliches Kaninchen sollte Menschen anfangs nur aus großer Entfernung wahrnehmen, und die Nähe wird allmählich angepasst, sobald es entspannt reagiert.
Gegenkonditionierung
Hier wird ein negativer Reiz durch positive Erfahrungen ersetzt. Der Mensch wird mit Futter statt Bedrohung verknüpft. Das Tier erhält Leckerlis bei Annäherung, ohne Zwang oder negative Erlebnisse. Maßnahmen wie Gesundheitschecks sollten in dieser Phase ausgesetzt werden, um Fortschritte nicht zu gefährden.
Habituation
Die Habituation basiert darauf, dass sich ein Kaninchen durch wiederholte, nicht bedrohliche Begegnungen an einen Reiz gewöhnt wird. Der Mensch nähert sich dem Kaninchen regelmäßig und bleibt ruhig, ohne es zu bedrängen oder zu berühren. Mit der Zeit nimmt die Angstreaktion ab, da das Kaninchen lernt, dass von der Situation keine Gefahr ausgeht.
So könnten die Streichelzonen bei deinem Kaninchen aussehen…
Kunststücke und besonderes Vertrauen…
Nicht alle Kaninchen werden so zahm, dass man mit ihnen Kunststücke machen kann (natürlich immer auf dem Boden, das Kaninchen nicht hochnehmen!).
Wer sich jedoch täglich mit seinen Kaninchen beschäftigt (Futter als Lockmittel), kann einiges erreichen, selbst bei ängstlichen Kaninchen.
Quellen u.a.:
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Solms, P. (2022): Verhaltensprobleme bei Nager, Reptil & Co.: Von den Grundlagen bis zum Management
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