Aggressionen gegenüber dem Menschen
„Mein Kaninchen knurrt, faucht, greift an oder beißt mich!“
Aggressionen gegenüber den Menschen haben viele Ursachen. Beobachten Sie das Verhalten Ihres Kaninchens genau um herauszufinden, welche Ursachen die Aggressionen haben.
Die häufigste Ursache ist allerdings
- eine Haltung, in der sich das Kaninchen nicht ausleben kann, so dass es frustriert und nicht ausgelastet ist (z.B. Einsperren im Käfig/Stall anstatt eines großen Geheges, das auch nachts genutzt werden kann)
Artgerechte Außenhaltung
Artgerechte Balkonhaltung
Artgerechte Wohnungshaltung - ein fehlender Artgenosse und
- ein Umgang mit dem Kaninchen, durch den es sich bedroht fühlt (hoch heben, tragen, kuscheln, bedrängen)
Der richtige Umgang mit Kaninchen – Kaninchen zähmen
Mit einem Artgenossen in einem großen Gehege mit Beschäftigungsmöglichkeiten, werden fast alle Kaninchen, wenn man sie in Ruhe lässt, wieder innerhalb von wenigen Tagen absolut unproblematisch.
Lesen Sie die verlinkten Unterseiten genau durch um die Haltung zu optimieren, einen passenden Artgenossen hin zu gesellen und auch zu erfahren, wie man Kaninchen zähmt ohne sie zu verängstigen (dann zeigen sie oft Angst-Aggressionen damit man sie in Ruhe lässt!).
Damit das Kaninchen den Menschen mit etwas Positiven verbindet, kann man immer, wenn man sich zum Kaninchen begibt, auf Augenhöhe gehen und etwas besonders leckeres zu Essen mitbringen. Das Kaninchen sollte dabei nicht in die Ecke gedrängt, gestört oder gezwungen werden, es sollte trotz genug Platz und Ausweichmöglichkeiten freiwillig auf den Menschen zukommen. Wenn das Kaninchen trotz optimaler Haltung und Partnertier extrem angreift, auch wenn man es weder bedrängt, noch einengt, sondern absolut in Ruhe lässt und sich immer vorsichtig und langsam nähert, in die Hocke geht und langsam bewegt, dann ist dieses Verhalten meist durch jahrelange falsche Haltung so extrem anerlernt, dass es umtrainiert werden muss. Dazu sollten sich betroffene Halter Hilfe von erfahrenen Haltern holen.
Mögliche Ursachen
- Körpersprache (Zwicken, weg schubsen, zartes Beißen)
Zur normalen Körpersprache gehört das Weg schubsen und Zwicken von Artgenossen. Hierbei kommt es jedoch zu keinen Wunden. Dieses Verhalten wird auch gegenüber des Menschen angewendet. Häufig wird z.B. am Schuh oder Hosenbein gezogen, um auf sich aufmerksam zu machen oder Futter zu erbetteln. Das Kaninchen kommuniziert so mit seinem Halter. - Angst-Aggression (Beißen wenn das Kaninchen keine Fluchtmöglichkeiten hat)
Wenn sich Kaninchen eingeengt fühlen, erstarren sie entweder, oder sie setzen sich zur wehr. Fühlt sich ein Kaninchen bedroht, so beißt es durchaus zu. Bedrohungssituationen entstehen wenn man sich dem Tier falsch nähert (der richtige Umgang mit Kaninchen), z.B. von oben oder auf eine andere, beängstigende Weise. Aber auch schlechte Erfahrungen können zu Angst-Aggressionen führen. Wenn das Kaninchen Angst hat hoch genommen, herum getragen oder bekuschelt zu werden, kann es auch aggressiv werden. Kaninchen möchten auf dem Boden bleiben und dort gestreichelt werden. Hochheben und Fixieren macht ihnen Angst, aus dieser Angst heraus beißt es zu. Engen Sie Ihre Kaninchen nicht ein sondern nähern Sie sich mit Respekt und lassen sie ihnen die Möglichkeit zu fliehen, wenn Sie es streicheln. - Revierverteidigung & Futter(platz)-Aggression
Manche Kaninchen neigen dazu, ihr Futter, ihren Napf oder ihren Stall/Käfig zu verteidigen. Wenn jemand reinlangt um Futter aufzufüllen, beißen sie kräftig zu. Dieses Verhalten tritt besonders bei Einzelhaltung und beengten Haltungsformen auf. Auch unkastrierte Rammler legen solch ein Verhalten an den Tag. Das Verhalten lässt sich korrigieren indem man unkastrierte Rammler kastriert, Einzeltiere vergesellschaftet und ein mehrere Quadratmeter großes Gehege mit zusätzlichen Auslauf anschafft. Zudem sollten Näpfe abgeschafft werden (außer dem Wassernapf) und das Futter im gesamten Gehege verteilt und versteckt werden. So gibt es keinen speziellen Futterplatz, der verteidigt werden kann. Ebenfalls ratsam ist eine große Buddelkiste, damit es sich abreagieren kann. Schließen Sie Rückzugsmöglichkeiten die verteidigt werden (Stall) und schaffen Sie neue Unterschlüpfe, nehmen Sie bei einem Käfig das Oberteil ab und stellen Sie die Wanne an einen neuen Platz im Gehege als Toilette auf. An die Hand gewöhnt werden solche Kaninchen indem man langes Futter (z.B. Stangensellerie oder Blätter mit langen Stil) aus der Hand füttert. - Frustrations-Aggressivität
Diese Form der Aggressivität ist eine umgelenkte Frustration. Das Tier ist nicht ausgelastet oder benötigt etwas für seine Grundbedürfnisse, als Ventil für seinen Unmut wird es aggressiv. Der häufigste Grund für Frustrations-Aggressivität ist eine generelle Unterforderung. Kaninchen brauchen viel Abwechslung, Umweltreize, Sozialkontakte zu anderen Kaninchen, Platz um sich auszupowern, eine Buddelkiste, Beschäftigung und Auslauf. Viele Haltungen werden dem nicht gerecht. Um die Frustrations-Aggressivität zu beheben, vergesellschaften Sie ihr Einzeltier, bauen Sie ein sehr großes Gehege mit min. 6 m² Grundfläche und täglich wechselnder Beschäftigung, einer großen Buddelkiste mit Sand, täglichem Freilauf und Abwechslung. Weitere Gründe können auch mangelnde Rückzugsplätze (in denen es wirklich ungestört ist und die es auch annimmt) oder das Ärgern (z.B. von Kindern) sein. Jüngere, fitte Kaninchen werden oft aggressiv wenn ihr Partnerkaninchen älter und geschwächt ist, so dass sie nicht mehr so viel mit ihm unternehmen können. Diese Frustration wird teils sogar an den alten Kaninchen ausgelassen. Deshalb ist es wichtig, immer ähnlich alte und aktive Kaninchen zu vergesellschaften. - Sexuell frustrierte Kaninchen
Sexuell frustrierte Kaninchen (unkastrierte Rammler, unkastr. Weibchen während der Hitze/Scheinträchtigkeit, Zwitter oder Kaninchen mit hormonellen Störungen) leiden oft an einem übersteigerten Sexualverhalten, dass sich in eine Frustrations-Aggressivität äußert. Das Tier leidet unter seinem Hormonüberschuss, mit dem es nichts anfangen kann. Solche Tiere sollten unbedingt so schnell wie möglich kastriert werden. - Erlernte Aggressionen
Vielleicht hat Ihr Kaninchen eines Tages aus Frust heraus gebissen und dabei gemerkt, dass sie (verständlicherweise) zurück zucken. Manche Kaninchen lernen daraus, in alles zu beißen, was ihnen im Weg ist oder sie stört. Der einzige Weg, dieses Verhalten zu korrigieren ist, in Zukunft völlig anders zu reagieren, so dass das Kaninchen lernt, dass es mit Beißen nicht weiter kommt. Fassen Sie am besten nicht mehr mit der Hand in die Nähe des Tieres. Kaufen Sie sich eine weiche Bürste (ggf. Stiel verlängern) und streicheln sie ganz vorsichtig und rücksichtsvoll damit das Kaninchen. Wenn es in die Bürste beißt, belassen Sie die Bürste dort, wo sie ist und ziehen sie diese nicht zurück. Lassen Sie dem Kaninchen die Möglichkeit zur Flucht, wenn es Angst bekommt. Wiederholen Sie den Bürstentrick zweimal täglich bis sich das Verhalten gebessert hat und sie das Kaninchen mit der Hand streicheln können. Eine Alternative zur Bürste sind dicke Handschuhe, die zum Streicheln verwendet werden können. - Schmerzen
Fühlt sich ein Tier richtig unwohl, so reagiert es mürrisch auf die Umwelt und aggressiv auf Annäherungen und Berührungen. Dabei kann es auch zu Bissen kommen. Bei Weibchen stecken oft Gebärmuttererkrankungen dahinter, die starke Schmerzen verursachen aber äußerlich symptomfrei bleiben oder nicht auffallen. Bei Widderkaninchen sind oft unsichtbare Mittelohrentzündungen die Ursache. Aber auch Zahnwurzelerkrankungen sind eine häufige Ursache! Wenn das Tier tierärztlich behandelt und wieder schmerzfrei ist, legt sich die Aggressivität von alleine. Wenn sich keine Ursache findet, kann man ggf. in Absprache mit dem Tierarzt versuchsweise 1-3 Tage Schmerzmittel in hoher Dosierung geben (Metacam 1mg/kg/Tag auf 2 Gaben aufgeteilt + Novalgin) und das Verhalten daraufhin beobachten. Ist das Verhalten schmerzbedingt, ist eine Verbesserung spürbar. Handelt es sich um ein Verhaltensproblem, zeigt das Kaninchen keine Verhaltensänderung. - Hitze, Scheinträchtigkeit
Kaninchenweibchen haben mehrmals jährlich Phasen in denen sie hitzig oder scheinträchtig (Nestbau Fell ausrupfen, Heu, Gras etc. im Maul herumtragen, Wühlen, graben, Aggressionen, mürrische Reaktionen) sind. Diese Phasen gehen jedoch nach wenigen Tagen vorüber, so dass die Aggressionen nur kurze Zeit auftreten. Das Tier ist nachher wieder so ausgeglichen wie vorher. In dieser Zeit hilft eine große Buddelkiste mit Sand, damit sich die Tiere abreagieren können. Ansonsten lässt man sie am besten in Ruhe und wartet ab, bis die Phase vorbei ist. Weitere Tipps - Verwechslung mit Futter
In Ausnahmefällen kann das Kaninchen den Finger für das Futter halten, besonders wenn es sich gierig auf das Essen in der Hand stürzt. Dabei kann es den Finger erwischen. - Aggressionen wenn man sich in Kämpfe einmischt
Es ist eine schlechte Idee, mit der nackten Haut zwischen zwei kämpfende Kaninchen zu gehen. Dabei kann das Kaninchen versehentlich die Haut erwischen (mit der Absicht das andere Kaninchen zu beißen).
Therapie: So geht man vor…
Die Haltung sollte optimiert werden, also z.B. ein Partnerkaninchen dazu vergesellschaftet und ein artgerechtes Gehege eingerichtet bzw. das Gehege erweitert und optimiert und zusätzliche Beschäftigung und Abwechslung geschaffen werden.
Ein kaninchenkundiger Tierarzt sollte das betroffene Kaninchen genau durchchecken (z.B. untersuchen, abtasten, röntgen und Blutcheck), eine reine Untersuchung wie z.B. im Rahmen der jährlichen Impfung reicht dabei nicht aus, es sollte gezielt angesprochen werden, dass das Kaninchen aggressiv ist damit schmerzhafte Ursachen herausgefunden werden können.
Ist die Ursache unklar oder nicht herauszufinden und das Verhalten bessert sich mit diesen Maßnahmen nicht, sollte eine verhaltenstherapeutische Sprechstunden mit Spezialisierung auf Kaninchen stattfinden, z.B. in unserer Telefonberatung oder bei einem spezialisierten Tierarzt.
Verhaltenstherapeutische Verfahren
Bei extrem aggressiven Kaninchen kann auch eine Verhaltenstherapie bei einem auf Verhaltenstherapie und Kaninchen spezialisierten Tierarzt nötig sein. Dabei werden folgende Verfahren, angepasst an das betroffene Kaninchen angewendet:
Systematische Desensibilisierung
Bei der Desensibilisierung wird der angst- oder aggressionsauslösende Reiz zunächst in einer so schwachen Form präsentiert, dass das Kaninchen entspannt bleibt. Die Intensität wird schrittweise gesteigert, um die Reizschwelle zu erhöhen. Ein aggressives Kaninchen sollte Menschen anfangs nur aus großer Entfernung wahrnehmen, und die Nähe wird allmählich angepasst, sobald es entspannt reagiert. Es wird nie die Schwelle überschritten, mit der Aggressionen ausgelöst werden.
Gegenkonditionierung
Ein negativer Reiz wird durch positive Erlebnisse ersetzt. Das Kaninchen verbindet den Menschen durch Leckerlis mit etwas Positivem. Zwang und negative Erfahrungen müssen vermieden werden, um Fortschritte nicht zu gefährden.
Habituation
Durch regelmäßige, ruhige und nicht bedrohliche Begegnungen gewöhnt sich das Kaninchen an den Menschen. Es bleibt entspannt, da keine Gefahr ausgeht, und die Aggressionen nehmen mit der Zeit ab.
Wichtig ist, dass das Kaninchen mit seinem Fehlverhalten (Aggression) nicht zum Erfolg kommt, da es sonst die Aggression festigt und erlernte Aggression entsteht. Am besten klappt das, wenn man in dicker Kleidung oder mit Handschuhen das Gehege betritt.
Quellen u.a.:
Bays, T. B., Lightfoot, T., & Mayer, J. (2006): Exotic pet behavior: birds, reptiles, and small mammals. Elsevier Health Sciences.
Buseth, M. E., & Saunders, R. (2014). Rabbit behaviour, health and care. CABI.
Schneider, B., & Döring, D. (2017): Verhaltensberatung bei kleinen Heimtieren: Haltung, Normalverhalten und Behandlung von Verhaltensproblemen. Schattauer Verlag.
Döring, D., & Erhard, M. H. (2015): Verhaltensprobleme bei Kaninchen. kleintier konkret, 18(S 01), 2-6.
Drescher, Birgit (1998): Verhalten und Verhaltensstörungen bei Hauskaninchen. Zeitschrift für Ganzheitliche Tiermedizin 12: 129 – 132
Drescher B. Verhalten und Verhaltensstörungen bei Hauskaninchen.
Kaulfuss, P. (2011): Verhaltensprobleme beim Kaninchen-Teil 1: Von „Untugenden „bis zur manifestierten Verhaltensstorung. PRAKTISCHE TIERARZT, 1(9), 796-796.
Kaulfuss, P. (2011): Verhaltensprobleme beim Kaninchen-Teil 2: Angst und Aggression. PRAKTISCHE TIERARZT, 1(11), 982-987.
McBride, A. (2003): Kaninchen verstehen: ein Ratgeber für die artgerechte Haltung. Pala-Verlag.
Solms, P. (2022): Verhaltensprobleme bei Nager, Reptil & Co.: Von den Grundlagen bis zum Management
Tynes, V. (2010): Behavior of Exotic Pets, Wiley-Blackwell