Gedanken zu einem viel diskutierten Thema.
Nicht nur in der Kaninchenhaltung gibt es ein Thema, das für viel Zündstoff unter Haltern sorgt und die Tierliebhaber in zwei Parteien teilt. Auch unter den Katzenhaltern taucht dieses Thema sehr oft auf. Soll eine Katze als Freigänger der erhöhten Gefahr durch Autos und Gifte ausgesetzt werden nur weil sie dadurch eine höhere Lebensqualität als der Stubenhocker hat? Darf man Kaninchen einem höheren Risiko aussetzen um ihnen das Erlebnis „Gartenfreilauf“ zu ermöglichen? Sollte man Kaninchen dem Risiko einer Verletzung aussetzen indem man ihm eine Vergesellschaftung aussetzt um ihn ein Leben in der Gruppe zu ermöglichen?
Der Weg in den letzten Jahren verlief sehr klar… Tierhalter sprachen sich öffentlich zu hohen Sicherheitsstandards aus. Alles, was auch nur das geringste Verletzungsrisiko barg, wurde als schädlich betitelt und aus dem Kaninchengehege verbannt. Eine Heuraufe in der ein Kaninchen mit dem Kopf stecken bleiben konnte? Lebensgefährlich! Etagen ohne Umrandung? Lebensgefahr! Nach oben offene Gehege oder etwa freilaufende Kaninchen? Lebensgefahr!
Mich machte dieses Thema nachdenklich. Wir alle möchten, dass es unseren Tieren möglichst gut geht. Wir möchten, dass sie sich nicht verletzen und nicht krank werden. Wir möchten, dass sie sich wohl fühlen und ihr Leben in unseren Händen genießen.
Doch wie viel Sicherheit ist sinnvoll und umsetzbar – und ab welchem Sicherheitsgrad werden die Kaninchen zu sehr in ihrer Lebensqualität eingeschränkt?
Ein kleiner Exkurs: Kinder
Nicht nur unter Tierhaltern ist das Thema „Sicherheit“ ein emotionales Reizthema. Auch Mütter und der Vater Staat beschäftigen sich mit diesem Thema. Besonders in einem Thema: Die Sicherheit unserer Kinder.
Es werden viele Vorschriften gemacht und Kontrollen angeordnet um unsere Kinder zu schützen.
Und trotzdem kommt es immer wieder zu Unfällen. Beispielweise wären hier Kinderspielplätze zu nennen. Es gibt kaum eine Einrichtung, die so strenge Normen erfüllen muss und so streng kontrolliert wird. Trotzdem kommt es zu Unfällen.
Wie geht man als liebende Mutter damit um? Verbietet man seinen Kindern den Spielplatz in Zukunft zu besuchen aus der Angst heraus, dass ihnen etwas zustoßen könnte? Stellt man nur noch absolut sichere Geräte auf? Wie langweilig wäre es ohne Klettergerüst (ein Kind könnte abstürzen), ohne Karussell (ein Kind könnte aus dem Karussell geschleudert werden) und ohne Sandkasten (es könnte sich einen Schiefer zuziehen)? Würden die Kinder dann überhaupt noch den Spielplatz besuchen wollen?
Ein Spielplatz lebt von seinen Reizen: Die Kinder probieren sich und ihre Fähigkeiten aus, trainieren ihren Körper in Gleichgewicht halten, klettern, turnen…
Lässt man seine Kinder als liebende Mutter oder liebender Vater alleine vor die Türe gehen? Es könnte ein Fremder ihnen etwas antun. Sie könnten durch ein Auto erfasst werden. Wie viel Eigenverantwortung trauen wir unseren Kindern zu? Kann es schon sicher eine Straße überqueren? Kennt es seine Grenzen wenn es auf dem klettergerüst unterwegs ist?
Wie viel Sicherheit ist sinnvoll? Ist es für das Kind besser es genau zu kontrollieren, es keinerlei Gefahren in irgendeiner Form auszusetzen? Oder gehört die Gefahr an sich mit zum Leben und ein Kind wie ein Tier braucht eine Umwelt (auch mit geringen Gefahren) um sich gesund zu entwickeln und wohl zu fühlen?
Bei Kindern spricht man von klammernden Müttern, Mütter die nicht loslassen können. Ja, es ist verständlich. Sehr gut verständlich! Denn keiner möchte durch ein Unglück sein Kind verlieren und es mit allen möglichen mitteln schützen! Genauso wie jeder Tierhalter sich nur das Beste für sein Tier wünscht! Aber ein Kind kann sich nicht „entfalten“, wenn es zu sehr behütet wird, wenn es die Liebe der Eltern erdrückt. Und lieben heißt auch oft – loslassen können.
Ich kann es sehr gut verstehen, dass sich Kaninchenhalter wünschen jede kleinste Restgefahr auszuräumen. Wer wünscht sich das nicht?
Trotzdem geht es sowohl bei der Tierhaltung, als auch bei der Kindererziehung darum, dass man auch loslassen kann. Kinder und Tiere brauchen Sicherheit. Sie sollten geschützt werden und einen geschützten Rahmen vorfinden. Aber sie brauchen auch Reize und Gefahren um sich gesund zu entwickeln.
Ich finde es immer sehr sinnvoll, sich folgende Frage zu stellen.
Wie möchte ich lieber leben: Möchte ich in einem Bunker, sicher vor Luftangriffen bei evtl. Kriegen und sicher vor jedem möglichen Feind leben? Mit sterilen Einheits-Essen und sicher vor Autos, die mich möglicherweise überfahren könnten. Sicher vor potentiellen Mördern und anderen schädlichen Einflüssen. Sollen meine Kinder keine Sozialkontakte haben, weil sie möglicherweise ein anderer Mensch verletzen könnte? Oder möchte ich ganz normal leben, mit all den möglichen Gefahren, denen ich begegnen könnte?
Möchte ich lieber ohne Auto leben und mich niemals in ein fahrendes Gefährt (Auto, öffentl. Verkehrsmittel etc.) steigen und mich fern von allen Straßen fern halten oder möchte ich Auto fahren, mit der Straßenbahn und dem Zug reisen und mich normal in der Stadt bewegen. Trotz dem ständigen Risiko.
Die meisten Menschen entscheiden sich für das Risiko. Sie fahren Auto, sie laufen unter freien Himmel trotz möglicher Luftangriffe, sie reisen und ziehen auch nicht in einen Bunker. Selbst wenn ein „freies Leben“ für sie eine geringere Lebenserwartung bedeutet, haben sie lieber ein kurzes freies Leben, als ein langes Leben ohne Umweltreize.
Ich denke Kaninchen würden genauso entscheiden.
Denn letzendlich kommt es nicht darauf an ob ein Kaninchen ein Jahr länger oder kürzer lebt, sondern auf die Qualität jeder einzelnen Minute. Und Kaninchen sind sehr neugierig und lieben Abwechslung.
Sie in Hochsicherheitstrakt unterzubringen kommt daher weniger ihnen entgegen, sondern vielmehr uns als besorgten Haltern. Ich würde meine Kaninchen und Katzen auch gerne 24 Std. unter Kontrolle haben, beschützen können und sie sicher wissen. Und auch mir hat es fast das Herz zerrissen, als eine meiner Katzen überfahren wurde. Trotzdem sind meine Katzen immernoch als Freigänger unterwegs und die Kaninchen als Freiläufer. Denn die Kaninchen wollen leben… genießen… frei sein. So wie ich es mir auch für mich und mein Leben wünsche.
Sicherheit ist wichtig, aber nur so lange, wie sie nicht die Lebensqualität drastisch reduziert. Es muss ein Kompromiss gefunden werden: Die goldene Mitte.
Wo diese Mitte liegt, das muss jeder Halter selber entscheiden. Trotzdem möchte ich ein wenig auf Möglichkeiten und Grenzen eingehen.
Es gilt immer Vor- und Nachteile abzuwägen.
Vergesellschaftungen
Jede Vergesellschaftung birgt Risiken. Die Kaninchen können sich schwer verletzen (gegenseitig oder an Gegenständen). Aber jede Vergesellschaftung schafft auch Lebensqualität!
Sicherheitstipps:
– Den Anfang der Vergesellschaftung
mitverfolgen um sie einschätzen zu können und
ggf. einzugreifen
– Nicht jede Vergesellschaftung bis zum bitteren
Ende ausreizen. Manche Tiere verstehen sich
nicht.
– Rechtzeitig eingreifen
– Nur Gegenstände aufstellen, die keine
scharfen Kannten haben oder andere
Verletzungs-Risiken bergen
Freilaufhaltung
Besonders eine freie Haltungsform ist immer noch stark umstritten. Jede freie Haltung birgt ein Risiko, die Kaninchen können z.B. durch Greifvögel gefährdet werden. Einen großen Vorteil haben allerdings Kaninchen gegenüber Katzen: Sie lassen sich mit Leichtigkeit „umzäunen“. Katzen kennen kaum Grenzen, sie überwinden fast jeden Zaun. Kaninchen alssen sich dagegen schon von einem einfachen Gartenzaun abhalten. Und so fällt schon der schlimmste Feind weg: Menschen und Autos! Katzen sind einem deutlich höheren Risiko ausgesetzt als Kaninchen.
Sicherheitstipps:
– Eine dichte und stabile Umzäunung
– Die Kaninchen beim ersten Freilauf beobachten bis sie die Umgebung und ihre Verstecke kennen
– Nachts die Kaninchen absolut mardersicher unterbringen, nachts gibt es viele Gefahren (Marder, Fuchs, Eulen)
– Ihnen viele Unterschlüpfe bieten, offene Flächen vermeiden (Greifvögel)
– Ggf. offene Flächen mit breiten Bändern überspannen.
– nur gesunde und fitte Kaninchen freilaufen lassen
Risiko durch „zu sichere Haltung“?
Fehlen dem Tier die Umweltreize und Abwechslung im tristen Alltag, so fängt es an sich selber zu beschäftigen. Es nagt an Plastik, kriecht in enge Lücken, steigt auf wacklige Erhöhungen und nagt am Gitter.
Besonders bei Innenhaltung sind solche Verhaltensweisen zu beobachten. Die Kaninchen machen Unsinn. Genauso wie auch Kinder,die wenig Abwechslung haben, sich entsprechend beschäftigen.
Daher birgt eine nicht artgerechte Haltung viele zusätzliche Risiken, die in einer Haltung mit anderen Gefahrenpotential sofort wegfallen, weil sie Kaninchen ausgelastet und ausgeglichen sind.