Kurzköpfigkeit
Was bedeutet Brachyzephalie?
Es handelt sich dabei um eine angeborene Fehlbildung, die bei fast allen Tierarten und auch beim Menschen möglich ist. Durch züchterische Auslese wird diese häufig noch gefördert bzw. ist gezielt erwünscht, da es „niedlicher“ aussehen soll (Kindchenschema). Beim Hund und der Katze kennt man sie z.B. vom Mops oder Perserkatzen. Nun haben die Niederlande für extrem kurzköpfige Tiere ein Zuchtverbot erlassen. Rundköpfige Zwergkaninchen haben mit ähnlichen Gesundheitsproblemen zu kämpfen. Kurzköpfige Kaninchen werden als brachyzephal bezeichnet („brachis“ = kurz und „cephalus“ = Kopf). Als Maßstab wird das Wildkaninchen oder eine Kopfform, die keine klinischen Symptome hervorruft, herangezogen.
Wie entsteht Brachyzephalie?
Kurzköpfige Kaninchen sind nicht natürlich sondern durch gezielte Zucht entstanden. Durch Zuchtauslese wurde der Schädel immer mehr verkürzt, besonders die Nase und der Unterkiefer. Es handelt sich also um eine Erbkrankheit. So wird das „Kindchenschema“ aufrechterhalten, d.h. erwachsene Tiere haben die Kopfform von Jungtieren und sehen so besonders süß aus. Ein Großteil der Zwergkaninchenrassen ist kurzköpfig, da solche Tiere besser verkauft und eher als Haustier gehalten werden, sie erfreuen sich besonderer Beliebtheit. Die Kieferverkürzung und die angestrebte kurze Schnauze bergen neben den allgemeinen Problemen der Kurzköpfigkeit das Problem, dass besonders häufig Linien mit einem verkürzten Oberkiefer (Brachygnathia superior) mit gezüchtet werden, dieser wird autosomal-rezessiv vererbt. Wird durch übertriebene Rassestandards oder unsachgemäße Zucht (falsche Zuchtauslese) die Kurzköpfigkeit übertrieben, entsteht eine extreme Form der Brachyzephalie, teils auch verbunden mit einem verkürzten Oberkiefer. Diese geht u.U. mit lebenslangen Gesundheitsschäden einher.
Zu welchen Problemen führt Brachycephalie?
Das Kaninchen ist in diesem Punkt weniger erforscht, dies hat den einfachen Grund, dass fast alle Studien über Kaninchen auf die Labortierhaltung zurückzuführen sind. Im Labor werden möglichst keim- und krankheitsfreie Zuchtlinien gezüchtet, die keine extremen Körperformen oder rassebedingten Erkrankungen aufweisen. Deshalb sind extrem kurzköpfige Kaninchen in den Laboren selten vertreten. Trotz dessen gibt es ein paar wissenschaftliche Abhandlungen zum Thema und auch die Literatur zu anderen Tierarten gibt Hinweise auf Problembereiche, die in der Praxis beim Kaninchen bestätigt werden können.
Zahnerkrankungen: die Selektion auf Klein- und Rundköpfigkeit geht mit einer Veranlagung zu Zahnstellungsanomalien im Ober- oder Unterkiefer einher. Da Kaninchenzähne lebenslang nachwachsen, kann eine Fehlstellung im Kiefer zu massiven Zahnerkrankungen führen, da die Zähne nicht mehr physiologisch abgerieben werden.
Besonders häufig ist bei kurzköpfigen Kaninchen die Zahnlücke zwischen den Vorder- und Backenzähnen im Unter- oder Oberkiefer verkürzt, dadurch stehen die Zähne des Oberkiefers nicht mehr parallel zu denen des Unterkiefers. Der Zahnabrieb ist so nicht gewährleistet. Durch den kurzen Schädel setzt die Kaumuskulatur (Muskelfasern des Masseter (M. masseter)) steiler an, beim Kauen wirken mehr vertikale Kräfte auf den Zahn, die wiederum die Zahnwurzeln stressen. Dadurch kann retrogrades Wachstum der Zähne begünstigt werden.
Durch gezielte Zucht kann das Risiko für Zahnerkrankungen reduziert werden. Tiere mit Zahnerkrankungen und ihre Verwandten müssen grundsätzlich aus der Zucht genommen werden! Da die Verkürzung des Oberkiefers autosomal rezessiv vererbt wird, können auch zahngesunde Kaninchen Träger sein und Tiere mit verkürzten Kiefer als Nachkommen haben.
Zahnerkrankungen bleiben häufig unsichtbar, denn Kaninchen essen noch mit starken Schmerzen. Meist werden Tiere erst auffällig, wenn sie aufgrund schmerzhafter Wunden an der Zunge und Mundschleimhaut die Nahrungsaufnahme komplett einstellen.
Durch Röntgenaufnahmen aus mehreren Ebenen (noch besser intraorales Röntgen oder CT-Aufnahmen) können diese aufgedeckt werden – diese Maßnahmen sollten bei der Zucht rundköpfiger, kurzköpfiger Tiere selbstverständlich sein. So können betroffene Linien aus der Zucht genommen werden. Siehe Zahnerkrankungen und Empfehlung aus dem Gutachten zur Auslegung von §11b TschG
Tränende Augen oder Nasenausfluss: Viele Tiere leiden unter Erkrankungen des Tränennasenkanals (tränende Augen), da dieser durch die Einengung der oberen Atemwege oftmals verengt ausgeprägt ist und näher an den Zahnwurzeln liegt. Mit der Klein- und Rundköpfigkeit sind außerdem im Bereich der Zahnwurzeln Kompressionsstenosen des Tränennasenkanals mit nachfolgenden Tränenabflussstörungen verbunden. Durch die Nähe des Tränennasenkanals zu den Zähnen fließen Abszesse an den Zahnwurzeln häufig über die Nase ab (Nasenausfluss/“Schnupfen“). Anders herum können Entzündungen im Tränennasenkanal zu Entzündungen der Zahnwurzeln führen und so Zahnerkrankungen und Kieferabszesse auslösen.
Obere Atemwege – Brachyzephales Atemnot-Syndrom (BAS): verengte Nasenhöhlen schränken die Atemwege ein, so dass es zu erschwerter Atmung, Atemgeräuschen oder sogar zu Atemnot (Hitze!) und einem Kollaps kommen kann. Die Nasenmuscheln sind so verengt, dass kaum Luft hindurch kommt. Häufig geben diese Kaninchen beim Schlafen oder bei Anstrengung Schnarchgeräusche von sich, da die Luft nicht ungehindert hindurch wandern kann.
Schnupfen: Auch ist ein Zusammenhang mit Erkrankungen der oberen Atemwege (Kaninchenschnupfen) bekannt. Durch die veränderte Anatomie siedeln sich Erreger leichter an und sind schwerer zu bekämpfen.
Welche Rassen sind betroffen?
Die allgemeinen Probleme betreffen alle extrem rundköpfigen Kaninchen. Dabei kann ein Teil der Rasse gesund, ein anderer mit extremer ausgeprägten Merkmalen und sehr flacher Schnauze anfälliger für die Erkrankungen sein. Die Erbkrankheit des unproportional verkürzten Kiefers (Brachygnathia superior) kann innerhalb vieler Rassen auftreten, wird aber besonders bei rundköpfigen Zwergrassen häufig autosomal rezessiv mit gezüchtet, aber auch kleinere Widderkaninchen sind häufiger betroffen. Die Brachygnathia superior wird als Synonym für Kurzköpfigkeit angesehen.
Vorwiegend auffällige Rassen:
- Hermelin-Kaninchen
- Farbenzwerge
- Widder-Rassen (Zwergwidder, Kleinwidder…)
- …
In der Regel sind einzelne Linien betroffenen, in denen diese Erkrankungen mit gezüchtet werden.
Tierschutzgesetz und gesetzliche Situation
Im §11b des Tierschutzgesetzes ist festgelegt:
„Es ist verboten, Wirbeltiere zu züchten …, wenn damit gerechnet werden muss, dass bei der Nachzucht, … erblich bedingt Körperteile oder Organe für den artgemäßen Gebrauch fehlen oder untauglich oder umgestaltet sind und hierdurch Schmerzen, Leiden oder Schäden auftreten.“
§11b TschG
Zur Auslegung dieses Paragraphen, gibt es das Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes (Verbot von Qualzüchtungen). Dieses befindet sich momentan in Aktualisierung, deshalb ist es in vielen Punkten veraltet.
„Definition:
Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes (Verbot von Qualzüchtungen)
Breite, runde Ausformung des Schädels (ausgeprägte Jochbögen und größere Wölbung des Schädeldaches) bis hin zum primatenähnlichen Rundkopf (z. B. bei Pekinesen) und/oder Verkürzung der Kiefer- und Nasenknochen.“
„1.4.4 Brachyzephalie (Kurzköpfigkeit, Kurzschädeligkeit, Mopskopfbildung mit Hydrozephalie)
Es handelt sich um eine breite und runde Ausformung des Kopfes, mit z. T. gleichzeitiger Verkürzung des Gesichtsschädels, mit ausgeprägten Jochbögen und einer deutlichen Wölbung des Hirnschädels (Apfelkopf), bis hin zum fast primatenähnlichen Rundkopf mit frontaler Orientierung der Augen. Die Brachyzephalie ist für bestimmte chondrodysplastische Rassen typisch. Es kommt zur Disproportion zwischen Hirnschädel und Gesichtsschädel, bedingt durch Wachstumshemmung in den betroffenen Regionen. Dadurch entsteht ein extremer Schädeltyp, bei manchen Rassen mit persistierenden Fontanellen in der Schädeldecke und fast fetalem Habitus (Fetalisation). Die Brachyzephalie ist in der Regel auch mit einer Abknickung der Schädelbasis verbunden.
Weiterhin können gleichzeitig Hypoplasie (Unterentwicklung) der Kaumuskulatur, Gebiss- und Kieferanomalien (Brachygnathie mit fehlerhaftem Gebissschluss, Atemwegsverengung mit Atembeschwerden sowie Schluckbeschwerden) auftreten. Infolge des Kontaktes der Kornea mit den Gesichtshaaren kommt es zur permanenten Korneareizung. Die ausgeprägte Einbuchtung des Gesichtsschädels (Glabella) begünstigt eine hyperplastische Hautfaltenbildung und damit die Disposition zu Dermatiden und zum Ektropium. Des Weiteren besteht eine Disposition zu Hydrozephalie und Geschwulstbildung sowie, bedingt durch den großen runden Kopf der Feten, eine erhöhte Neigung zu Schwergeburten (Dystokie). Brachyzephale Hündinnen sind häufig nicht in der Lage, ihre neugeborenen Welpen aus der Eihaut zu befreien und abzunabeln. „
„Symptomatik:
Schwergeburten in Rassen mit extremen Rundköpfen; brachyzephale Rassen, insbesondere verzwergte chondrodysplastische, neigen zu Gehirntumoren (DAHME u. SCHIEFER, 1960; HAYES u. SCHIEFER, 1969) und Hydrocephalus (CHEW-LIM, 1976; YASHON et al., 1965); mit dem Grad der Verzwergung nimmt auch die Dicke des Schädeldaches ab, häufig verbunden mit persistierender Fontanelle (HAHN, 1988), was zu Schädelverletzungen prädisponiert.
Das disproportionierte Wachstum der Schädelknochen bedingt eine Verkleinerung der Nebenhöhlen (KOMEYLI, 1984), Stenosen in den Nasenöffnungen und -gängen sowie einen relativ zu langen weichen Gaumen. Die Folge sind Atembeschwerden bis zu Atemnot, Störung der Thermoregulation (Tiere sind hitzschlaggefährdet) und Schluckbeschwerden (HARVEY, 1983; NUSSBAUMER, 1978; ROBINSON, 1988). Diese Defekte werden deshalb auch als „brachycephalic airway obstruction syndrom“ bezeichnet (HARVEY, 1989). Bei extrem rundköpfigen Tieren (z. B. Chihuahua, Mops) treten zudem die Augen weit hervor – eine Prädisposition für traumatische Augenerkrankungen.
Weiterhin kann der Zahnschluss durch einen ausgeprägten Vorbiss (Prognathia inferior, z. B. bei Boxer, Bulldogs) so mangelhaft sein, dass die Gebissfunktion ungenügend ist.
Empfehlung:
Extreme Rundköpfigkeit, insbesondere disproportionierte Verkürzung der Gesichtsknochen muss ausgeschlossen werden (siehe Seite 15, Nr. IIa; darüber hinaus Funktionsprüfung bei der Zuchtbewertung und Zuchtausschluss nach 2. Kaiserschnitt). Zuchtverbot für Tiere, die den vom Zuchtverband festzulegenden Grenzwert überschreiten.“
„Empfehlung an die Zuchtverbände (siehe Seite 15, Nr. II):
Festlegung eines Index zur Vermeidung von Übertypisierungen. Zuchtverbot für Tiere, die diesem Index nicht entsprechen. Hier: Zuchtverbot für extrem kurznasige Tiere, bei denen der obere Rand des Nasenspiegels über dem unteren Augenlidrand liegt.
Gesundheitliche Überprüfung brachyzephaler Individuen vor der Zulassung zur Zucht (Untersuchung auf Verengung der oberen Atemwege oder der Tränennasenkanäle, Oberkieferverkürzung etc.). Zuchtverbot für Tiere, die mit einem oder mehreren der oben beschriebenen Symptome behaftet sind, da bei der Nachzucht mit Schmerzen, Leiden und Schäden zu rechnen ist. Alle untersuchten Tiere sind dauerhaft zu kennzeichnen (Tätowierung oder Mikrochip). Es sind Zuchtbücher zu führen; diese und die Untersuchungsergebnisse sind bei Bedarf offen zu legen.
Änderung des Zuchtstandards bei brachyzephalen Rassen zur Vermeidung eines ausgeprägten Stopps; Bevorzugung von Tieren mit längeren Gesichtsschädeln. „
„2.1.3.2.2 Brachygnathia (Kieferverkürzung)
Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes (Verbot von Qualzüchtungen)
Definition:
Mehr oder weniger ausgeprägte Verkürzung eines Kiefers, meist des Oberkiefers (Brachygnathia
superior).
Vorkommen:
Vor allem bei Zwergkaninchen, aber auch bei Kaninchen größerer Rassen.
Genetik:
Der Erbgang ist nicht geklärt. Nach NIEHAUS (1987) vermutlich ein autosomal rezessives Gen
mit Variation durch Modifikationsgene; nach ROBINSON (1958) vermutlich nicht nur ein Gen.
Symptomatik:
Infolge der Kieferverkürzung findet kein ausreichender Abrieb der (unteren) Schneidezähne statt.
Die Nahrungsaufnahme wird immer stärker eingeschränkt, bis die Tiere kein Futter mehr aufnehmen können. Die unnatürliche Verlängerung der Schneidezähne kann unterschiedlich auftreten
und wird oft erst erkannt, wenn die Tiere kein Futter mehr aufnehmen.
Verbunden mit der Kugelköpfigkeit bei Zwergrassen tritt gelegentlich auch ein Verschluss des
Tränennasenkanals mit Tränenabflussstörungen infolge Kompression durch die Zahnwurzeln auf.
Empfehlung:
Zuchtverbot für Träger der Anomalie und bekannte Träger des Defektgens, um Leiden infolge der
Zahnfehlstellung zu vermeiden (siehe Seite 15, Nr. I). Sorgfältige Gebisskontrolle vor der Zuchtzulassung und bei allen Schauen. Extreme Rundköpfigkeit, insbesondere disproportionierte Verkürzung der Gesichtsknochen muss ausgeschlossen werden (siehe Seite 15, Nr. IIa; darüber hinaus Funktionsprüfung bei der Zuchtbewertung und Zuchtausschluss nach 2. Kaiserschnitt).
Zuchtverbot für Tiere, die den vom Zuchtverband festzulegenden Grenzwert überschreiten.“
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